Toni Ming Geiger

Piano

Als Reisender tritt Toni Ming Geiger in das leise Gelb des Bühnenlichts, in seinem großen Koffer Kammermusik, viele Ideen und an diesem Abend auch Heinrich Heine. „Es ist eine alte Geschichte, doch bleibt sie immer neu“ singt der Pianist mit dem Ensemble Eikona aus Schumanns „Dichterliebe“. Die Musiker*innen folgen dem Dichterfürsten auf seinen Wanderungen durch die Landschaften der Geschichte und füllen die alten Lieder mit neuem Leben.

„Ich möchte wegkommen von der sehr strikten, textgetreuen Interpretation klassischer Musik und sie um Szenisches erweitern,“ sagt Toni Ming Geiger bei einem Treffen in der Kölner Hochschule für Musik und Tanz, wo er 2018 seinen Lied-Master abgeschlossen hat. Seine Ausbildung begann beim Bonner Pianisten Andreas Frölich und führte ihn anschließend zu Pavel Gililov, Michel Dalberto, Jacob Leuschner und Ulrich Eisenlohr an die Musikhochschulen von Köln sowie Paris. Als Stipendiat wurde Toni Ming Geiger in seiner künstlerischen Entwicklung vom Cusanuswerk, dem Carnegie Hall SongStudio, dem Britten-Pears Young Artist Programme, der Dörken-Stiftung, der Lied Akademie des Heidelberger Frühlings und der Akademie Concerto21 der Alfred-Töpfer-Stiftung FVS unterstützt. Nach Erfahrungen in allen pianistischen Gattungen war es letztlich der kammermusikalische Dialog, der ihn begeisterte. Angeregt durch Pierre-Laurent Aimard, Renée Fleming, Thomas Hampson, Hartmut Höll, Gerold Huber, Christoph Prégardien und viele andere, entwickelt Geiger nun seine ganz eigenen Zugänge zu diesem Genre.

Nicht als schlichte Reihung, sondern in einem lebendigen Dialog zwischen den Epochen, Medien und Musiker*innen stellt er das vermeintlich Altbekannte neben Neues und entwickelt daraus abendfüllende Dramaturgien. So werden die klassischen Werke in seinen Programmen zu Prismen gegenwärtiger Perspektiven. Gemeinsam mit der Sopranistin Elena Harsányi verfolgte er etwa die kammermusikalische Darstellung von Frauenfiguren von der Vergangenheit bis ins Heute und hinterfragte gewohnte Rollenbilder. Für das Programm „Venus Mater – Von Heiligen und Huren“ (2018) erhielt das Duo, das schon 2017 einen 1. Preis beim Paula-Salomon-Lindberg-Wettbewerb in Berlin gewann, 2018 auch den Bechstein-Sonderpreis des Deutschen Musikwettbewerbs. Zuletzt waren sie Finalisten des Internationalen Schubert-Wettbewerbs für Lied-Duo Dortmund. Derzeit sind sie Preisträger der Académie Orsay-Royaumont 2019/2020, für die sie eine Reihe von Konzerten im Dialog mit der Sammlung des Musée d’Orsay Paris kuratieren.

Von enormer Bedeutung ist für Toni Ming Geiger, sich durch seine künstlerische Arbeit auch persönlichen Themen zu nähern: Als Sohn einer chinesischen Mutter und eines deutschen Vaters wird der 1990 in München geborene Pianist oft mit der Nachfrage konfrontiert: „Und wo kommst du wirklich her?“ Die Auseinandersetzung mit der Herkunft und das Gespräch zwischen Kulturen bilden daher einen Fixpunkt seiner Arbeit. „Musik hilft mir, diese Frage der Prägung zu teilen, mitzuteilen. Andere würden vielleicht schreiben oder eine Choreographie erstellen, ich mache eben Musik“, sagt er. „Es ist mein Medium, mit dem ich kommuniziere.“ Das schlägt sich in seinen Programmen „Hybriden“ (2015) und „Heimat“ (2018) nieder, die Kultur- und Disziplinengrenzen überschreiten. Der Einsatz von Tanz und Videokunst, die Zusammenarbeit mit Schauspieler*innen und Regisseur*innen und beizeiten auch der Einsatz der eigenen Stimme verleiht der intimen kammermusikalischen Erfahrung zusätzliche Facetten. „Ich glaube, dass man Musik ganz unterschiedlich wahrnimmt, je nachdem, wie das Licht ausschaut oder wie die Anordnung der Musiker*innen auf der Bühne ist.“

Auf die persönliche Beziehung zu einem Werk kommt es Toni Ming Geiger an. Dazu gehört es auch, sich die Offenheit und Frische eines immer wieder erneuten Kennenlernens zu bewahren: „Ich bereite Stücke so vor, dass ich sie gut spielen kann. Wenn ich den Punkt erreicht habe, an dem ich sie technisch beherrsche, höre ich schnell auf zu üben, um spontan reagieren zu können.“ Idealerweise wird Interpretation so zur Improvisation und jedes Konzert zu einem einzigartigen Erlebnis in einem einmaligen Zeitraum.

Mit der Gegenüberstellung von Klassikern der Liedliteratur und zeitgenössischen Werken möchte Geiger die Vielseitigkeit des Kunstlieds lebendig halten. Ein Abenteuer, zu dem er als Liedpianist immer wieder aufbricht: „Da macht jemand wunderbare Dinge mit dem Text und seiner Stimme, und ich kann mitgehen auf dem Klavier oder einen Gegenpol setzen. Es ist ein Dialog, der mich sehr inspiriert.“ Wohin die Reise geht? Nach der Carnegie Hall New York, der Wigmore Hall London oder dem Pierre-Boulez-Saal Berlin wird Toni Ming Geiger weiter die Bühnen der Welt bereisen. Mit Sicherheit wird es dort immer neue Lieder, Dialog und viel Abenteuer geben.

 

 

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